Strahlenschutzmittel Kopf

Sehr geehrter Herr Professor Ewen,

ich wende mich mit einer Fragestellung an Sie, da mir bisher niemand eine zufriedenstellende Auskunft geben konnte. Es geht um „Strahlenschutzhauben“ oder „Kappen“, die die Exposition des Kopfes der beruflich strahlenexponierten Personen bei interventionellen Eingriffen reduzieren sollen. Die Industrie bewirbt diese Produkte intensiv und bezieht sich wohl sogar auf eine veröffentlichte Studie, die zeigen soll, dass Gehirntumore bei Ärzten, die regelmäßig Expositionen ausgesetzt sind, vermehrt auftreten. Die Konsequenz daraus ist nun, dass die in unserem Hause tätigen Ärzte die Anschaffung der Produkte fordern. Trotz intensiver Recherchen sehe ich bisher keine Möglichkeit eine objektive Entscheidung bzgl. der Anschaffung zu treffen. Kurz zusammenfassen möchte ich meinen derzeitigen Wissenstand wie folgt: 1) Die SSK gibt diesbezüglich leider keine Empfehlung. 2) In der SV Richtlinie werden diese Hauben nicht gefordert. 3) Nach Rücksprache mit verschiedenen Sachverständigen gemäß RöV wollen diese sich über den Nutzen nicht festlegen. 4) § 2c RöV: „Wer eine Tätigkeit … ist verpflichtet, jede Strahlenexposition von Mensch … unter Beachtung des Standes der Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auch unterhalb der Grenzwerte so gering wie möglich zu halten.“. Die konkrete Einschätzung dieses Paragraphen ist jedoch ebenfalls nicht trivial. Meine konkrete Frage an Sie wäre: Ist die Anschaffung anzuraten oder gar erforderlich? Eine ausführliche Begründung Ihrer Antwort würde sehr weiterhelfen.
Auch im Zusammenhang mit Interventionen ist eine weitere Frage aufgetreten: Es gibt, beispielsweise von Mavig, „femorales“ und „radiales Drape“. Dies sind Einwegabdeckungen, die auf den Patienten gelegt werden und die Strahlenexposition des Arztes ebenfalls weiter reduzieren sollen. Wie ist hier Ihre Einschätzung? Bringen diese Produkte etwas und sollten genutzt werden?
Vielen Dank für Ihre Bemühungen.

Mit freundlichen Grüßen,
C. Müller
ullikugel
Sehr geehrte/r Frau/Herr Müller, da sprechen Sie ein sicherlich nicht triviales Problem an, da es hier um die Möglichkeit der Induktion sog. stochastischer Strahlenwirkungen geht, wozu auch die strahlenbedingte Verursachung von Krebs bzw. Tumoren gehört. Stochastische Strahlenwirkungen gehorchen statistischen Gesetzen, wobei also keine eindeutigen Aussagen in Einzelfällen sondern nur kollektive Risikoabschätzungen möglich sind, mit welchen Wahrscheinlichkeiten bestimmte Dosiswerte z.B. eine Krebserkrankung induzieren können. Diese grundsätzliche ´unscharfe´ Risikoaussage muss auch einer Antwort auf Ihre Frage zu Grunde gelegt werden, ob bei bestimmten Röntgenuntersuchungen mit möglicherweise nicht geringen Dosiswerten für das im Röntgenraum befindliche Personal das Tragen dieser Schutzhauben aus prophylaktischen Gründen (Dosisreduzierung des Gehirns zwecks Reduzierung des Tumorrisikos dort) angeraten, wenn nicht sogar notwendig sein sollte. Bisher gibt es, wie Sie ja auch angemerkt haben, diesbezügliche Forderungen nicht (SSK, SV-Richtlinie, Sachverständige). In der zurzeit in der Novellierungsphase befindlichen SV-Richtlinie ist es auch nicht vorgesehen, eine derartige Forderung mit aufzunehmen. Nochmals: Es ist wirklich schwierig, angesichts des stochastischen Charakters einer strahlenbedingten Tumorinduktion die Anwendung einer bestimmten strahlenschutztechnischen Maßnahme (hier: Schutzhaube) zu fordern oder nicht. Bei welcher Dosis legt man das noch akzeptable Strahlenrisiko fest? Eine Frage, die mich während meines (langen) ´Strahlenschutzlebens´ immer wieder beschäftigt hat. Die neuste Tabelle der sog. Gewebewichtungsfaktoren zur Ermittlung der (´stochastisch signifikanten´) effektiven Dosis aus der EURATOM-Richtlinie 2013/59 gibt für das Gehirn den im Vergleich zu anderen Geweben (z.B. Knochenmark, Lunge, Brust) kleinen Wert von 0,01 an. Daraus muss man schließen, dass für dieses Organ das stochastische Strahlenrisiko als relativ gering eingestuft wird. Fazit für mich: Strahlenschutzhauben kann man empfehlen, sollte sie aber nicht fordern. Was die Drapes betrifft, so sind diese zusammen mit dem (oft an der Decke angebrachten, schwenkbaren) Streustrahlenschutz zu nutzen. Sie vergrößern durchaus die Schutzwirkung dieses Streustrahlenschutzes (´sie bringen etwas´). Nutzung bei Hochdosisarbeitsplätzen empfehlenswert, wird aber bisher nicht gefordert. Sehr wichtig in eigener Sache: Hier wird von der anfragenden Person die Fa. Mavig angesprochen. Es gibt noch andere Firmen, die ebenfalls auf diesem Gebiet des Strahlenschutzes (Patienten- und Personalschutzkleidung, usw.) tätig sind! Mit freundlichem Gruß K. Ewen
Klaus Ewen

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